Janosch
Eine Erzählung von Traude Veran
Seit etwa zwei Monaten habe ich keinen Hund mehr. Sollte ich so etwas angedeutet haben, dass ich mich einsam fühle?
Spätabends, ich bin schon am Einschlafen, höre ich meine Tochter die Wohnung betreten und dann ein Geräusch, das ich sofort erkenne: Trippeln und Klingeln. Ein dicker, wenig schöner und ziemlich stinkender Hund marschiert zielstrebig auf mein Bett zu und schlüpft wohlig grunzend unter die Decke.
Die beiden kommen direkt aus dem Waldviertel, wo Edith Klinger den Hund in Pflege gegeben hatte, bis sie einen Dauerplatz für ihn fand, unseren! Der Mischling, ein echter „Rassehund“ (es gibt keine Rasse, die da nicht mitgemischt hatte), ist am Floridsdorfer Donauufer aufgegriffen worden, wo er sich offensichtlich schon längere Zeit herumtrieb, und wurde deswegen Doni, dann Toni genannt.
Nein, das kommt nicht in Frage! Toni heißen in meiner Familie zu viele Menschen, Männer und Frauen! Wir sagen probeweise Janosch. Der Hund ist es zufrieden.
Er ist angeblich etwa zehn Jahre alt, eine wohl ziemlich geschönte Angabe, zwölf hält der Tierarzt für realistischer. Janosch muss operiert werden, ein Hodentumor wird entfernt; die Wunde verheilt gut.
Längere Zeit bereitet er uns jede Menge Probleme, denn er beißt alles, was sich bewegt – nur mich nicht. Vielleicht, weil er fürchtet, den Platz in meinem Bett einzubüßen? Wir gehen im Cottage spazieren, da ist es relativ menschenleer und wenn jemand kommt, flüchte ich mit ihm auf die andere Straßenseite. Seiner Meinung nach gehören nicht nur alle anderen Hunde, sondern auch fremde Menschen zu Atomen zerfetzt. Rad- und Motorradfahrer sind der böse Feind schlechthin. Gerade, dass mich Janosch nicht hinter sich her über die Fahrbahn schleift, wenn einer vorbeikommt.
Meine Tochter will mir ihren Freund vorstellen. Als erstes beißt ihn Janosch ins Bein. Der gute Mann lässt sich nicht entmutigen und „darf“ bereits kurze Zeit später mit dem Hund die Abendrunde gehen.
Seine Glanzleistung liefert Janosch im Herbst: Ein behäbiges Ehepaar biegt unvermutet um die Ecke. Schnapp, hat Janosch die Frau erwischt: großer blauer Fleck und zerrissene Strumpfhose. Ich ziehe den Hund zur Seite, aber der Mann reagiert falsch, stürzt auf ihn zu und schreit ihn an. Na, was wohl? Schnapp. Zerrissene Hose. Blauer Fleck. Ich biete den beiden Geld an, aber sie wollen Krankenstand herausschlagen und rufen die Polizei. Die Beamten verstehen sich bestens mit Janosch, der zum ersten Mal zu fremden Menschen freundlich ist, was die Eheleute ziemlich empört. Irgendwann haben sie die Lust am Streiten verloren und holen dann nicht einmal mehr das angebotene Geld ab.
Janosch verändert sich: Er nimmt ab, streckt sich, sein Fell glänzt, er stinkt nicht mehr. Vermutlich brauchte er einfach nur hundegerechte Nahrung. Seine verstopften Analdrüsen werden regelmäßig entleert. Er erfasst sofort, dass ihm diese unangenehme Prozedur im Nachhinein gut tut und hält geduldig, wenn auch zitternd, still. Er wird zusehends ruhiger. Das Vertrauen in die Umwelt wächst. Dabei helfen ihm Senta, die junge, verschreckte Schäfer-Husky-Mischlingshündin, die aus lieblosen Verhältnissen kommt und die er bevatert, und unser Rudel Katzen. Denen ist mit keinem Hund zu imponieren und sie haben sich auch den Janosch erzogen.
Janosch und ich machen bei jedem Wetter lange Spaziergänge. Er ist ausdauernd und ein flotter Geher. Ich auch, wir sind ein gutes Gespann. Für fremde Hunde interessiert er sich längst nicht mehr; wenn ihm einer aggressiv kommt, flüchtet er zu mir. Einmal wird er auf der Hundewiese von so einem kleinen Schmarren gebissen, nicht sehr arg, aber er ist so geschockt und verzweifelt, dass ich seine 14 kg bis zum Tierarzt tragen muss.
Im Jahr darauf ziehe ich ins Pensionistenheim. Janosch hat sein Stammquartier nun bei meiner Tochter und ist ein liebenswerter, gemütlicher, grantelnder Opa geworden. Er freut sich, als Bonita aus Spanien dazukommt, fast noch ein Embryo. Sie entwickelt sich zu einem gutmütigen 40-kg-Monster, das glaubt, es sei ein Schoßhund. Die beiden werden enge Freunde, zum Schlafen aber liegt Katze Magsi beim Janosch.
Mein Schwiegersohn hat eine kleine Firma, das Büro ist eine Villa mit Garten, die Hunde können also immer bei ihren Menschen sein. Ich auch, ich betreue den Garten. Wir sind ein echtes Rudel!
Mit Janoschs Sehen und Hören wird es immer schlechter. Zwei Jahre später im Frühjahr ein Schlaganfall. Er lahmt nun links und geht nur mehr im Garten umher, ist aber immer noch stundenlang auf den Beinen, rastlos, immer denselben Weg. Das Schlimmste aber: Er hat die Kontrolle über den Darm verloren, scheint den Stuhlgang überhaupt nicht mehr zu bemerken. Es fällt einfach raus. In diesem schönen Sommer und mit den beiden Gärten ist das kein Problem, obwohl: Dazwischen liegt die Fahrt im Auto, und auch da fällt’s einfach raus! Aber was wird im Winter? Wir überlegen, in einem Kellerraum, in dem der Estrich entfernt wurde, den Lehmboden zu belassen und eine Heizung zu installieren. Aber der Janosch will doch bei seiner Familie sein!
Im August wird er immer schwächer, knickt ein, kann oft nicht mehr selber aufstehen. Seine Futterschüssel steht auf einer Stufe zwischen zwei Wanndeln voller Erde, die verhindern, dass er beim Fressen seitlich umfällt. Trotz der Unmengen, die er frisst, nimmt er ab: Er kann nicht mehr richtig verdauen. Janosch ist jetzt ganz blind. Wir lassen ihn keine Minute allein. Wie gut, dass ich Zeit genug habe!
Der Tierarzt tut für ihn, was er kann. Ein ganzes Kofferl mit Medikamenten und Aufbaupräparaten begleitet uns. Es verhindert, dass der Hund Schmerzen hat, mehr geht nicht. Dann wird Janosch innerhalb von drei Tagen eigenartig eckig, seine Augäpfel rutschen nach innen: Nierenversagen. Der Arzt injiziert ihm ein Beruhigungsmittel. Janosch stirbt auf dem Untersuchungstisch; sein Herz bleibt stehen, bevor die tödliche Spritze gesetzt wird.
Ich denke viel an ihn, aber ich bin nicht allein: Meine Perserkatze Jennifer tröstet mich zu Hause. Sie kommt aus dem Internet und lebt seit Mai bei mir. Auch sie ist ein betagtes Wesen. Der nächste Abschied ...
Zum Foto: Leider gibt es von Janosch kein Foto. Aber dieses Foto von Susanne Pälmer auf Pixabay kommt dem Aussehen von Janosch ziemlich nahe.
Dr. Traude Veran
ist 85 Jahre alt und lebt in einem Pensionistenheim in Wien. Sie ist promovierte Psychologin, arbeitete mit benachteiligten Kindern und in der Erwachsenenbildung. Als eine der ersten erkannte sie die Auswirkungen von Legasthenie und schulte Pädagoginnen in Erkennung und Trainingsmethoden. Sie ist Autorin und schreibt Lyrik, Kurzprosa, Fachbücher, Übersetzungen und heute vor allem Haiku.
Sie ist mehrfach ausgezeichnete Schriftstellerin und wir von petdoctors.at freuen uns sehr, dass Sie uns einige Ihrer Erzählungen zur Veröffentlichung zur Verfügung stellt - Vielen Dank.
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